Das Bild (das Foto) ist kein Abbild der Wirklichkeit, und der Text ist keine Manifestation jedweden Gedankens. Das Bild ist ein Produkt des Dialogs zwischen Sichtbarem und Sehenden. Der Text ist das Destillat des stattgefundenen Dialogs zwischen Ahnung und Sprache. Beides, Bild und Text, sind Schichten einer sich ständig im Wandel und im Fluß befindlichen persönlichen Wahrnehmungsmoräne.

Aber das ist nur die eine Ebene: Das Produzieren von Bildern und Texten (eingefrorener Sprache), die zunächst eine immanent subjektive Konstruktion darstellen.

Dann aber, auf der – möglichen – nächsten Ebene, treten Text und Bild in einen Dialog, erzeugt der Urheber von Beidem, inspiriert von den Texten, neue Bilder, die allerdings auch nur eine für ihn so sichtbare Wirklichkeit darstellen können; eine multiplizierte allenfalls.

Wenn dann aber – und das ist implizit Anliegen dieser Ausstellung – die Betrachterin/ der Betrachter mit dem Bild-Text-Dialog konfrontiert werden (respektive der Möglichkeit die Ur-texte zu lesen), findet ein ganz neuer Dialog statt, und neue Bilder und Texte entstehen, neue Konstrukte aus Wort und Bild, vielschichtigere, unberechenbare, die letztendlich allerdings wieder nur eine Ahnung von Wirklichkeit darstellen, eine Essenz subjektiver Wahrnehmungen: Ich nenne sie „Urbanes Rauschen“. Und dieses Rauschen ist unsere kollektive Wahrnehmung dieser Stadt: das Urban-Maritime, das Untergegangene, an Land Gespülte. (Stadt-) Strand-gut (oder -schlecht?). Oder das selbstsuggestive Ich-bin-ich-selbst-und-wahrhaftig.

 

[„Warum lügst du? Welches Meer?!“ fragte sie mich. Ich hatte keine Antwort. Aber ich hatte es gesehen. Und ich hatte doch – verdammt nochmal – diesen salzigen Geschmack im Mund, letztens, als sie von mir ging, gischtumspült, im Häusermeer verschwindend.]

 

Unsere nichthinterfragten Konstruktionen sind der Anfang des Rauschens.

 

Das Ende des Rauschens sind vertraute, vermeintlich störungsfreie wirkliche Bilder, Momente, in denen wir meinen, eintauchen zu können in einen Kosmos, der klar und logisch erscheint, und Momente, in denen die Worte, die das alles eindeutig und zweifelsfrei beschreiben,  klar auf der Hand – in diesem Fall der Zunge – liegen, Worte, die uns vorgaukeln, in Sprache gefaßte Wirklichkeit zu sein.  All das sind und bleiben aber nur Schimären. Das Ende des Rauschens findet nicht wirklich statt.

 

Manchmal (oder meistens?) retten uns Momente, in denen unaussprechliche Anzeichen das Gegenteil zu beweisen scheinen.

Möglicherweise gibt es das Ende des Rauschens ja auch jenseits unserer von uns selbst konstruierten Wirklichkeit. Das aber bleibt eine offene und unbeantwortete Frage.

 

Vinzenz Fengler, Mai 2008

 

 

Überlegungen zum Gebrauch der (Bild-)Sprache in der Ausstellung 'Urbanes. Rauschen.'/FOTO.TEXT.DIALOG/Vinzenz Fengler/Galerie Eiswürfel

 

 „Hätten wir das Wort, hätten wir die Sprache, wir bräuchten die Waffen nicht.“                                     Ingeborg Bachmann

 

Ein recht tauglicher Weg, sich Sprache zu nähern, ist, sich einem Schreibenden zu nähern, für den Sprache ein lebendiger Organismus ist, und der sich demjenigen entzieht, der ihn in Punkte, Positionen und Meinungen zerstückeln will. Keine wissenschaftlichen Begriffsaquarien können den Fluss sprachlichen Denkens fassen. Man muss schon leibhaftig hinein tauchen, um das gewollte Zusammenspiel von Oberflächen-, Tiefen- und Gegenströmungen, Strudeln, Zuflüssen und Seitenarmen zu verstehen. Nicht bloß in gewissem sondern im eigentlichem Sinne muss es ein Sprach- und Wortfanatiker, eine Sprach- und Wortfanatikerin sein, eine terminologische Amour fou muss quasi bestehen, damit solch eine angestrebte Annäherung Erfolg haben sollte.

 

Mein Weg der Annäherung führt über Karl Kraus, einem der – in vielerlei Hinsicht - bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des beginnenden 20. Jahrhunderts. Er reüssierte und verstörte seine zahlreichen Kritiker als Publizist, Satiriker, Lyriker, Aphoristiker, Dramatiker, Förderer junger Autoren, Sprach- und Kulturkritiker – vor allem als ein scharfer Kritiker der Presse und des Hetzjournalismus oder wie er es selbst ausdrückte, der Journaille. Allein die 37 Jahrgänge der von ihm herausgegeben Zeitschrift „ Die Fackel“ ergeben 6000 Seiten, was seine einzigartige Ernsthaftigkeit im Umgang mit Sprache, eine wahrhaftige Amour fou zur Sprache erkennen lässt. [……..] Kraus’ Sprachversessenheit mag heute mehr befremden denn je. In Zeiten, in denen so getan wird, als sei die Gesellschaft ein riesiges basisdemokratisches Selbstverwirklichungsseminar, wo jede Stimme Widerhall, aber keine Bedeutung hat, erscheint das Bemühen um sprachliche Brillanz – für Karl Kraus der einzige Garant geistiger Redlichkeit – schlechterdings als Originalitätssucht, elitär, selbstverliebt, sogar oberflächlich, bestenfalls als eine beachtliche und bizarre Fleißaufgabe. Diese Häme äußert sich in dubiosem Lob wie: „Mit Sprache umgehen kann er oder sie ja“, als handle es sich bei solch einem Können um Taschenspielertricks oder jene fiese Laune der Natur namens Talent, die sie den seichten Seelen oft genug im Übermaß schenkt, uns aber, die wir doch so viel mehr zu sagen hätten, vorenthält. Doch, kontert Kraus: „Der Gedankenlose denkt, man habe nur dann einen Gedanken, wenn man ihn hat und in Worte kleidet. Er versteht nicht, dass in Wahrheit nur der ihn hat, der das Wort hat, in das der Gedanke hinein wächst.“ Form und Inhalt gehörten zusammen wie „Leib und Seele“, nicht wie „Leib und Kleid“. Die Instrumentalisierung von Sprache streift Kleider von der Stange über imaginäre Körper. Es kommt also nicht darauf an, was man sagt, sondern wie man es sagt. „Die wahren Agitatoren der Sache“, sagt Karl Kraus, „sind die, denen die Form wichtiger ist.“ Und: „Wer nichts der Sprache vergibt, vergibt nichts der Sache.“

 

So sei der Besucher, die Besucherin dieser Ausstellung gebeten, die Ernsthaftigkeit des hier Geschriebenen und Fotografierten zu würdigen und ihm jene Achtung zukommen zu lassen, die Karl Kraus sein ganzes Leben so überaus vehement von seinen Zeitgenossen eingefordert hat. 

Sprache meint in der Ausstellung 'Urbanes Rauschen', wenn ein Gedachtes zugleich ein Gesehenes und ein Gehörtes ist. Es wird mit Aug' und Ohr geschrieben. Aber Literarisches muss gelesen sein, wenn ihre Elemente sich binden sollen. Nur dem Lesenden respektive  dem Betrachtenden - und nur dem, der ein Leser, eine Leserin, ein Betrachter, eine Betrachterin ist - bleibt sie in der Hand, im Auge. Man denkt, sieht und hört, und empfängt das Erlebnis dann in derselben Dreieinigkeit, in der der Künstler dieser Ausstellung das Werk gegeben hat. Man muss lesen/betrachten, nicht hören, was geschrieben steht/gezeigt wird. Zum Nachdenken des Gedachten hat der Hörende nicht die Zeit, auch nicht, dem Gesehenen nachzusehen. Wohl aber könnte das Gehörte überhört werden. Gewiss, der Lesende hört auch besser als der Hörende. Was bleibt, ist ein Schall, ein flüchtiges Bild. Möge es stark genug sein, Sie, die Besucher und Besucherinnen, zu werben, damit Sie das nachholen, was Sie als Hörer und HörerInnen, als Betrachter und Betrachterinnen versäumt haben.

 

Karin Pinter-Koschell, 2008